Camouflage

by on Sep.20, 2006, under Biographien, Sonstiges

Der Schlussakkord verklingt, für heute ist die Show beendet, langsam verlöschen die Scheinwerfer. Grell flackert das weiße Saallicht auf, hartnäckige Fans klatschen weiter und fordern mehr. Völlig erledigt streben Camouflage nach einem zweistündigen Auftritt von der Bühne in den Backstage-Bereich. Frontmann Marcus Meyn schwitzt mit Gasttrommler Jochen Schmalbach um die Wette. Auch die beiden Keyboarder/Sänger Heiko Maile und Oliver Kreyssig greifen hastig zu gekühlten Getränken und bereit liegenden Handtüchern. Mit entspannten Gesichtern lassen die Musiker sich in die abgewetzte Polstergarnitur der Garderobe fallen. Von wegen unterkühlter Synthie-Sound, Camouflage spielen sengenden Elektro-Pop, live so schweißtreibend wie ein Gang in die Sauna.

Mal wieder typisch Camouflage, das Trio war schon immer vom Wunsch getrieben, eigene Wege zu beschreiten. Das begann bereits bei seiner Gründung im Jahr 1983: Während sich unzählige Gitarrenbands im heimischen Bietigheim an Hard-Rock-Riffs abarbeiteten, besorgten Heiko, Marcus und Oliver sich Synthesizer. Drei Jahre verbrachten die Schulfreunde im Proberaum, wo sie die faszinierenden Möglichkeiten der Elektronik ausloteten und hemmungslos experimentierten. Mit zunehmender Beherrschung der Instrumente kamen erste Songideen. Ein früher Titel war etwa „The Great Commandment“, der zum ersten Meilenstein der Camouflage-Karriere werden sollte.

1987 erschien ihr Debütalbum „Voices & Images“. Als Single wurde das das frühe Meisterstück „The Great Commandment“ ausgekoppelt, das prompt vom Untergrund-Favoriten zum globalen Hit avancierte. Ein Jahr später unterschrieben die drei Aufsteiger beim renommierten US-Major Atlantic. Mit vereinten Kräften wurde das Album in 28 Ländern veröffentlicht, Longplayer und Single knackten zudem den Jackpot: Beide erklommen die Spitze der Billboard Dance Charts. 

1989 legten Camouflage nach, mit „Love Is A Shield“ glückte ihnen ein weiterer Pop-Evergreen, der sich neun Wochen in den deutschen Top Ten hielt und insgesamt ein knappes Jahr in den Charts verbrachte. Auch das zweite Album „Methods Of Silence“ wurde zum Überflieger, ausverkaufte Konzerte waren der Lohn für die hart arbeitende Band. Bei allen Erfolgen blieben die Bietigheimer stets auf dem Boden der Tatsachen. „Wir hatten TV-Auftritte mit „The Great Commandment“ und zwei Tage später hab` ich meine Abi-Klausur in Mathe geschrieben“, erinnert sich Marcus.

Der Ausstieg von Oliver Kreyssig 1990 war ein Einschnitt, den Heiko und Marcus nutzten, um einen neuen Kurs einzuschlagen. Für das Album „Meanwhile“ (1991) tourten Camouflage mit einer sechsköpfigen Band, die feingliedrige Akustik-Versionen der Synthie-Hymnen lieferte. Für „Bodega Bohemia“ (1993) kehrte das Duo zum eindringlichen Elektro-Sound zurück. Das ambitionierteste Album ihrer bisherigen Laufbahn enthielt auch „Suspicious Love“, einen weiteren Ohrwurm, der bis heute in keinem Konzert fehlen darf.

In Andreas „Bär“ Läsker, dem Manager der Fantastischen Vier, fand die Band einen durchsetzungsfähigen Partner, zusammen bildeten die drei Schwaben ein echtes Power-Team. Mit „Spice Crackers“ (1995) legten Camouflage ein zeitgemäßes Elektro-Album vor, das auf dem Höhepunkt der Alternative-Rock-Bewegung jedoch entschieden zu wenig Beachtung fand.

„Eine gute Gelegenheit für eine Kreativpause“, dachten sich die beiden Freunde und gingen eine Weile getrennte Wege. Heiko komponierte Musik für Werbespots, Marcus heuerte bei einer Plattenfirma an. Doch alte Liebe rostet nicht, 1997 holten die Zwei ihren alten Freund Oliver zurück ins Boot. Zu dritt fanden sie wieder Spaß am Schreiben und Spielen, was bei Camouflage stets mit einem ausgedehnten Diskussionsprozess einher geht. Knapp fünf Jahre ließen sie sich Zeit für das Comeback-Album „Sensor“ (2003). Das Werk hatte es in sich, es bescherte dem Dreier nicht nur den höchsten Charteinstieg der Bandgeschichte, sondern auch gefüllte Konzertsäle im In- und Ausland.

Inzwischen leben die Wahl-Berliner wieder in einer Stadt, was den Kommunikationsprozess entschieden vereinfacht und beschleunigt. „Relocated“ ist ein smarter Titel für ihr siebtes Album, mit dem sie alte und neue Zeiten verknüpfen. Die Scheibe kombiniert außerdem eine positive Lebenseinstellung mit der band-typischen Melancholie. „Dieses Gefühl tragen wir in uns“, stellt Marcus fest und setzt hinzu: „In Moll fühle ich mich wohler als in Dur.“ Die Ideen zu Titeln wie „Dreaming“ und „Motif Sky“ stammen aus den frühen Neunzigern, sie wurden generalüberholt und völlig neu instrumentiert. Ein optimistisches Liebeslied wie „The Pleasure Remains“ steht problemlos neben einem aufwühlenden Titel wie „Passing By“, den Marcus als „Weltraum-Drama mit Happy End“ beschreibt. 

Insgesamt trägt „Relocated“ bei aller Vielschichtigkeit die Züge eines typischen Camouflage-Albums. Dieser Fakt ist der Arbeitsweise des Trios zu verdanken: Alle drei Mitglieder tragen ihren Teil zu den Kompositionen bei, die von Heiko produziert werden. Sämtliche Texte stammen aus den Federn von Marcus und Oliver. Ihre ausgiebigen Diskussionen im Studio haben das erklärte Ziel, „unsere Gefühle auf den Punkt zu bringen, bis am Ende jedes Mitglied Hurra schreit“, so Marcus.

Damit auch jeder Fan „Hurra“ schreien kann, planen Camouflage in nächster Zeit ausgedehnte Tourneen. „Es gibt kein geileres Gefühl, als vor Menschen zu spielen, die wegen deinen Liedern ins Konzert gekommen sind“, schwärmt Heiko von dem Kick auf der Bühne. Wie 2003 in Moskau. „Wir wussten überhaupt nicht, was auf uns zukommt“, erinnert sich Marcus bewegt. „Tausend Fans standen in der Halle und haben jeden Song mitgesungen. Unser Live-Mixer – ein erfahrener Haudegen, der mit vielen Bands unterwegs war – hatte Tränen in den Augen. Hinterher meinte er zu uns, so etwas habe er noch nicht erlebt.“

www.camouflage-music.com

Diskographie
Voices& Images (1987)
Methods Of Silence (1989)
Meanwhile (1991)
Bodega Bohemia (1993)
Spice Crackers (1995)
Best Of- We Stroke The Flames (1997)
Rewind<< The Best Of 95-87 (2001)
Sensor (2003)
Relocated (2006)

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